14.08.2025 | Recht am Bau Seite 92-93 in Ausgabe 5/2025

Seeger: Aufrechnung und Verrechnung am Bau

Was Handwerker wissen müssen!

1. Warum das Thema wichtig ist

Stellen wir uns vor: Ein Bodenleger hat sauber gearbeitet, die Fläche liegt fachgerecht, die Schlussrechnung ist raus – und der Bauherr sagt plötzlich: »Da sind aber noch ein paar Mängel. Das rechne ich Ihnen einfach gegen.« Zack, statt Zahlung flattert eine Kürzung ins Haus. Willkommen in der Welt der Aufrechnung und Verrechnung – ein Thema, das im Baualltag regel-mäßig für Ärger sorgt. Für Handwerker kann die richtige -Reaktion hier entscheidend sein: Wer nicht weiß, was erlaubt ist, verliert schnell Geld. Wer sich aber auskennt, kann so manche unberechtigte Kürzung abwehren.

2. Die rechtliche Grundlage – kurz und knackig!

Die Aufrechnung ist in den §§ 387 ff. BGB geregelt. Sie bedeutet, dass zwei Personen sich gegenseitig Geld schulden und der eine sagt: »Ich verrechne meine Forderung mit deiner.« Ergebnis: Die Forderungen heben sich – soweit sie gleich hoch sind – auf.

Wichtige Voraussetzungen:
1. Gegenseitigkeit – Beide Forderungen müssen zwischen denselben Parteien bestehen.
2. Gleichartigkeit – Meist Geldforderungen.
3. Fälligkeit und Durchsetzbarkeit der Gegenforderung.
4. Kein Aufrechnungsverbot (vertraglich oder gesetzlich).

Im Baurecht kommt zusätzlich oft § 320 BGB (Einrede des nicht erfüllten Vertrags) ins Spiel: Der Auftraggeber darf Zahlungen verweigern, wenn die Werkleistung mangelhaft ist – aber nur, soweit dies berechtigt und angemessen ist. Nach § 641 Abs. 3 BGB ist in der Regel das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten angemessen (sogenannter Drückzuschlag).

3. Aufrechnung vs. Verrechnung – der Unterschied

■ Aufrechnung ist juristisch klar definiert: Man erklärt, dass sich Forderungen gegenseitig aufheben.
■ Berrechnung ist oft eher Alltagssprache: »Wir ziehen das einfach ab.« Im Vertrag kann aber auch eine Verrechnungsklausel stehen, die die Zahlungsabwicklung regelt.

Für den Handwerker ist wichtig: Nicht jede »Verrechnung« des Bauherrn ist automatisch eine wirksame Aufrechnung.

4. Typische Aufrechnungssituationen auf der Baustelle

Fall 1: Mängelabzug
Der Klassiker: Der Bauherr behauptet Mängel – beispielsweise »Die Fliesenfugen sind ungleichmäßig.« Er lässt ein Gutachten machen und schätzt die Mängelbeseitigungskosten auf 5000 Euro. Die Schlussrechnung des Handwerkers beträgt 20 000 Euro. Der Bauherr überweist nur 15 000 Euro und erklärt Aufrechnung.

Tipp für Handwerker:
■ Prüfen, ob der Mangel überhaupt besteht.
■ Ist die Höhe des Abzugs realistisch?
■ Ist die Forderung des Bauherrn schon fällig?

Häufig will der Bauherr »zukünftige Mängelbeseitigungskosten« aufrechnen – das geht nur, wenn er eine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt hat und diese Frist fruchtlos abgelaufen ist, ohne dass der Handwerker tätig geworden ist. Erst dann bestehen Mängelansprüche, wie das Recht auf Ersatzvornahmekosten. Vor Ablauf der Frist hat der Bauherr jedoch die Möglichkeit, sein Zurückbehaltungsrecht geltend zu machen.

Fall 2: Vertragsstrafe
In manchen Bauverträgen steht: »Bei Überschreitung der Fertigstellungsfrist zahlt der Auftragnehmer 0,3 Prozent der Auftragssumme pro Werktag Verspätung.« Ist der Handwerker im Verzug, rechnet der Bauherr die Vertragsstrafe gegen die Werklohnforderung auf.

Tipp für Handwerker:
■ Vertragsstrafen müssen wirksam vereinbart sein. Allein durch die VOB/B ist das nicht der Fall. Dies muss ausdrücklich im VOB-Vertrag stehen. Auch im BGB-Vertrag ist eine Vertragsstrafenregelung möglich. Dies muss jedoch ausdrücklich vereinbart sein.
■ Häufig scheitern solche Vertragsstrafenregelungen, die Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen, an zu strengen oder unklaren Klauseln.
■ Nicht jede Verzögerung ist Verschulden des Handwerkers (zum Beispiel fehlende Vorarbeiten anderer Gewerke). Jedoch ist ganz entscheidend, dass der Handwerker dies auch durch Behinderungsanzeigen dokumentiert. Der Handwerker ist in der Beweislast, dass es nicht seine Verantwortung ist, dass er den Fertigstellungstermin überschritten hat.

Fall 3: Schadensersatz wegen Folgeschäden
Beispiel: Ein Elektriker bohrt ein Loch, trifft aber versehentlich eine Wasserleitung. Folge: Wasserschaden im Estrich. Der Bauherr will die Kosten der Trocknung mit der Schlussrechnung des Elektrikers verrechnen.

Tipp für Handwerker:
■ Nur berechtigte, nachweisbare Schäden können aufgerechnet werden.
■ Die Höhe muss belegt sein.
■ Eigene Haftpflichtversicherung sofort informieren.

Fall 4: Vorschussansprüche
Ein Bauherr kann bei Mängeln oft einen Vorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB verlangen. Hat er diesen Anspruch, darf er aufrechnen, wenn er fällig und durchsetzbar ist.
Aber: Häufig ist der Vorschuss noch gar nicht geschuldet, weil der Bauherr keine angemessene Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt hat.

5. Wann darf der Bauherr nicht aufrechnen?

■ Vertragliches Aufrechnungsverbot: In vielen AGB steht, dass der Auftraggeber nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen aufrechnen darf. Solche Klauseln sind im B2B-Bereich als auch gegenüber Verbrauchern zulässig.
■ Nicht fällige Forderung: Eine erst zukünftig entstehende Schadensersatzforderung ist nicht aufrechenbar.
■ Fehlende Gegenseitigkeit: Beispiel – Bauherr will eine Forderung aus einem anderen Bauvorhaben mit der aktuellen Schlussrechnung verrechnen. Das geht nur, wenn dieselben Vertragsparteien beteiligt sind.

6. Richtig reagieren – Praxis-Tipps für Handwerker

1. Sofort prüfen: Stimmt die behauptete Gegenforderung überhaupt?
2. Schriftlich zurückweisen: Wenn unberechtigt, schriftlich erklären: »Die Aufrechnung wird mangels Bestehens und Fälligkeit der Gegenforderung zurückgewiesen.«
3. Teilzahlung verlangen: Auch wenn ein Teil berechtigt ist, auf Auszahlung des unstreitigen Betrags bestehen.
4. AGB nutzen: Ein Aufrechnungsverbot in eigenen AGB kann viele Probleme vermeiden.
5. Dokumentation: Saubere Bautageberichte, Abnahmeprotokolle und Fotodokumentationen sind das beste Gegenmittel gegen unberechtigte Kürzungen.
6. Anwalt einschalten, bevor Forderungen verjähren oder durch Schweigen anerkannt werden.

7. Unterhaltsame »Lehrgeschichten« vom Bau

Der »Alles-auf-einmal«-Bauherr
Malermeister Meier bekommt für seine Arbeit 8000 Euro. Der Bauherr zieht 2000 Euro ab: 500 Euro für angebliche Kratzer, 700 Euro für »nicht ganz weißen« Anstrich und 800 Euro für »seelischen Schmerz«. Ergebnis: Alles Unsinn – der seelische Schmerz taugt juristisch nicht zur Aufrechnung.
Lektion: Nicht jede Forderung ist aufrechenbar.

Der »Doppelte Hans«
Fliesenleger Hans arbeitet an zwei Baustellen für denselben Bauherrn. Auf Baustelle A gibt es Mängel, auf Baustelle B läuft alles top. Der Bauherr will den Schaden von Baustelle A mit der Rechnung für Baustelle B verrechnen. Das geht – aber nur, wenn auf beiden Baustellen dieselben Vertragsparteien tätig sind (also derselbe Handwerksbetrieb, nicht etwa ein Subunternehmer).

8. Fazit für Handwerker

Aufrechnung und Verrechnung sind am Bau alltäglich – aber nicht jede Kürzung ist rechtlich haltbar. Wer als Handwerker ruhig prüft, gezielt widerspricht und sauber dokumentiert, hat die besten Chancen, sein Geld zu bekommen. Und manchmal lohnt es sich, den Bauherrn freundlich, aber bestimmt darauf hinzuweisen: »Auf meiner Baustelle wird nicht einfach verrechnet – hier wird gezahlt.«

Carsten Seeger

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