22.10.2023 | Allgemein Seite 32-35 in Ausgabe 6/2023

GHF: Eine gelungene Veranstaltung trotz schwieriger Zeiten

Auf der diesjährigen Jahreshaupt­versammlung des Bundesverbandes Großhandel Heim & Farbe (GHF) in Seeheim-Jugenheim kamen am 20. und 21. September rund 240 Teilnehmer aus Großhandel und Industrie ­zusammen, um sich über Zukunftsthemen auszu­tauschen.
Die von den Organisatoren aus­gewählte zentrale Lage des ­Tagungsortes, zwischen Darmstadt und Mannheim gelegen, wurde von einem vollen Tagungssaal unterstrichen. Überhaupt schienen die beiden Tage aus konzeptioneller Sicht gut angekommen zu sein. Für die wich­tigen Gesprächspausen räumten die Verantwortlichen wieder mehr Zeit ein und das Vortragsprogramm war absolut hörenswert.

Keine leichten Zeiten
»Die Schwierigkeit liegt weniger in den neuen Gedanken als in der Befreiung von den alten«: Mit einem Zitat von John Maynard Keynes begrüßte GHF-Geschäftsführer Bert Bergfeld die Branchenexperten zur Tagung und machte gleich zu Anfang deutlich, dass er sich von der derzeitigen »Kater­stimmung« nach den wirtschaftlich erfolgreichen Pandemie-Jahren nicht anstecken lassen möchte. Obwohl die Infla­tion weiterhin hoch sei, die Verbraucher sich in Konsumzurückhaltung üben würden und die Energiewende der Wirtschaft und Gesellschaft viel abverlange: »Die Zukunftsaussichten im gestaltenden Handwerk sind sicher gut. Millionen Häuser und Wohnungen der Babyboomer-Jahrgänge warten auf energetische Sanierung und Renovierung.« Auch wenn er wisse, dass das Lackieren einer Tür und das Beschichten einer Wand mit Dispersion weiter zum Tagesgeschäft gehöre, während Fassadenarbeiten oder der Austausch von Bodenbelägen, also Projekte, deutlich zurückgegangen ­seien. »Der Umsatzrückgang wird vorbeigehen, hoffentlich im nächsten Jahr, auch wenn aktuell wenig dafür spricht und die Signale aus der Politik noch sehr schwach sind. Dennoch haben die Betriebe, die im Privatkundengeschäft aktiv sind, immer noch eine gute Auslastung.«
GHF-Vorstandsvorsitzender Frank-A. Kühnel, Vorstand und Geschäftsführer der Maler-Einkauf Rhein-Ruhr eG, Essen, sprach von angespannten Zeiten. Der Umsatz der GHF-Mitglieder sei im ersten Halbjahr 2023 um 3,8 Prozent zurückgegangen und auch für das zweite Halbjahr 2023 seien die Aussichten nicht sehr positiv. Doch es bringe rein gar nichts, nach der alten Branchenrechnung zu handeln, die da laute: »Wenn wir es billiger anbieten, werden wir so viel Umsatz machen, dass wir es kompensieren.« Wer das glaube, liege falsch: »Der Kampf, den Preis und nicht den Rabatt zu verkaufen, lohnt sich!«
Kühnel wies im Zuge des Megatrends Digitalisierung in seiner Ansprache auch auf die Materialstammdatenplattform XPIM hin – eine Plattform, die Industrie und Handel flottmachen soll für das stark wachsende Online-Geschäft. 
Die XPIM GmbH ist eine Gesellschaft des GHF. Mittels intelligenter Technologie ermöglicht es XPIM, dass Produktdaten herstellerübergreifend vereinheitlicht und angereichert an den Fachgroßhandel ausgegeben werden können, ohne dass ein zentraler Standard notwendig wird. Die Her­steller können innerhalb des eigenen Datenmodells bleiben, der Fachgroßhandel hat jederzeit Zugriff auf die aktuel­len Produktstammdaten. Inzwischen seien 17 Hersteller, die mit dem GHF agieren, voll integriert, sechs in der An­bindung und ab Herbst sollen die Mitglieder des Großhandels großflächig an der Reihe sein.
Wichtig ist für den GHF hierbei zu betonen, dass XPIM auf Qualität und nicht auf Quantität setzt. Es sei dem Handel nicht zuträglich, möglichst viele Hersteller so schnell als möglich zu integrieren und dabei die Qualität aus den Augen zu verlieren. »XPIM hat den Anspruch, den höchsten Qualitätsstand zu erreichen und dazu benötigt es ein intensives Onboarding mit den Herstellern«, so Bergfeld.

Volker König neu im Vorstand
Neu im Vorstand ist Volker König von der Mega eG in Hamburg. Das kooptierte Vorstandsmitglied ist durch Vorstandsbeschluss zum 1. Januar 2023 zum Nachfolger von Ulrich Schnabel (farbtex GmbH & Co. KG) ernannt worden. Ulrich Schnabel ist zum Jahres­ende 2022 ausgeschieden.
Als neue Großhandelsmitglieder ge­hören dem GHF nun auch die Firmen Ruhe & Co., Farben Schmid und Spillner an; neue Fördermitglieder sind die Unternehmen Classen, Kansei Helios, J. Wagner GmbH und die Adolf Wagner GmbH. Insgesamt besteht der GHF im Jahr 2023 aus 170 Mitgliedern, wovon 51 Prozent (87) Großhandelsmitglieder sind und 49 Prozent (83) Fördermitglieder.
Detailliert stellte GHF-Geschäftsführer Bergfeld die Umsatzentwicklung des Großhandelsverbandes für die einzelnen Produktbereiche im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum vor: Ein Plus im einstelligen Bereich konnten die Wärmedämmverbundsysteme, Spachtelmassen und Klebstoffe für die Wand, Werkzeuge/Maschinen/Klebebänder sowie die Bereiche Trockenbau/Baustoffe/Innenausbau als auch Dienstleistungen verbuchen. Ein Minus mussten die elf weiteren Produktbereiche verkraften, hier traf es besonders hart Parkett und Laminat mit –21,04 Prozent sowie die elastischen Bodenbeläge mit –7,85 Prozent.

Hochkarätiges Rahmenprogramm
Insgesamt sechs Redner waren an den beiden Tagen zugegen, allen voran ­hatte man mit Wolfgang Bosbach einen Top-Redner im Boot, der zum Thema »Krieg und Krisen – Deutschland und Europa im Stresstest« die Zuhörer in seinen Bann schlug. Bosbach war von Februar 2000 bis November 2009 stellvertretender Vor­sitzen­der der Bundestagsfraktion der Union und von November 2009 bis Juli 2015 Vor­sitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Mit Analysen zur Ampel-Koalition und dem Ukraine-Krieg zeigte Bosbach mit klaren Worten auf, wie die Lage auf unserem Kontinent derzeit ist. Humoristisch und teilweise auch ernst lieferte der Rheinländer klare Aussagen zur Zukunft unseres Landes. Mit markigen Aussagen wie »Hast du nichts im Boden, brauchst du was im Kopf« und »Die Jugend ist zwar schneller, aber die Alten kennen die Abkürzung« brachte er die Zuhörer schnell auf seine Seite.
Mit Holger Schwannecke, General­sekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), hatte der GHF ebenfalls einen erstklassigen Redner nach Seeheim-Jugenheim geholt, der auf der Jahreshauptversammlung zum hochaktuellen Thema »Digitalisierung im Handwerk« sprach. Die Corona-Pandemie, der Ausbruch des Ukraine-Krieges und eine Vielzahl da­raus resultierender weiterer krisen­hafter Schwierigkeiten haben laut Schwan­necke die vergangenen Jahre zu einer permanenten Be­las­tungs­probe gemacht – für das Handwerk, für die gesamte Wirtschaft und für die Politik. Die Digitalisierung im Handwerk sei als Chance zu begreifen, beispielsweise, um den Fachkräftemangel im Handwerk mit Malerrobotern auszugleichen oder mit sinnvoll eingesetzten Social-Media-Maßnahmen neue Wege bei der Werbung zu beschreiten.
Dem Thema »Next Generation« widmete sich die 24-jährige Referentin Lisa Winkler von der hawo GmbH in Heppenheim. Sie ist Teil der jungen dritten Generation, die aus sechs poten­ziellen Nachfolgerinnen besteht. Nach erfolgreichem Abschluss des Bachelorstudiums »Corporate Management & Economics« an der Zeppelin-Universität und diversen Praktika zog es Lisa Winkler nach Berlin. Dort arbeitet sie seither im Vertrieb des Start-ups Haus Next, einer digitalen Plattform von Next Gens für Next Gens. Haus Next setzt sich zum Ziel, Next Gens aus Unternehmerfamilien zu fördern, zu ermutigen und so die fa­mi­lien­interne Nachfolge zu stärken. 
Peter Vahrenhorst, ehemaliger Kriminalhauptkommissar beim Landes­kri­minalamt Nordrhein-Westfalen, informierte über den Bereich Cyberkriminalität. Vahrenhorst war für die Prävention von Cybercrime mit der Zielrichtung »Wirtschaft« zuständig. Die Aufgabenfelder des Cybercrime-Kompetenzzentrums sind unter an­de­rem: Computer- und Mo­bile ­Foren­­sik, Ermittlungen, Telekommunikationsüberwachung, Open-Source-Recherche, kriminalistische Lageunterstützung mittels Informations- und Kommunikationstechnik, Prävention/Me­dien und Auswertestelle Kinderpornografie. Vahrenhorst machte deutlich, wie schnell man als Unternehmen als auch als Privatperson ­Opfer von Cyberkriminalität werden kann. Die Gefahr sei allgegenwärtig, die Schäden beliefen sich inzwischen allein in Deutschland auf mehr als 200 Milliarden Euro pro Jahr. Er empfahl beispielsweise eine Netzwerkteilung per Gastnetzwerk im Bereich Home­office und gab Tipps für eine Backup-Strategie.
Am zweiten Tag eröffnete der Verkehrspilot und Referent Philip Keil mit seinem Vortrag »Crash oder Punkt­landung? Das Team macht den Unterschied« die Veranstaltung. Er be­rich­tete von einem Ereignis im Jahr 2009, das sein Leben für immer veränderte: Ein Routineflug wird binnen Sekunden zum akuten Notfall für Crew und knapp 200 Passagiere. Philip Keil kann eine Katastrophe abwenden und sitzt bereits wenige Tage später wieder im Cockpit. Sein Credo: »Triff eine Entscheidung«. Am Beispiel der einmaligen Notwasserung des US-Airways-Fluges 1549 im Jahr 2009 auf dem Hudson River von Flugkapitän Chesley Sullenberger zeigte er auf, dass es wichtig sei zu handeln, sofort zu agieren und nicht abzuwarten. Pilot »Sully« rettete mit seiner getroffenen Entscheidung damals das Leben aller 155 Insassen.
Den Schlusspunkt setzte Dr. Lasse Meißner mit seinem Vortrag »Klartext Digitalisierung. Wie es geht, was es bringt und was getan werden muss.«. Meißner gilt als Umsetzer der digitalen Transformation im deutschen Mittelstand. Als Gründer und Geschäftsführer der vecovio GmbH verantwortet er die Umsetzung digital nachhaltiger Transformationsprojekte etablierter Unternehmen mit einem Fokus auf kurze Entwicklungszyklen und den Zugewinn an unternehmerischer Autonomie. Zuvor hat Dr. Meißner in ope­rativer Verantwortung bei Butlers als Geschäftsleiter in nur vier Jahren ein viel beachtetes Best-Practice-Beispiel für die digital nachhaltige Transformation deutscher Familienunternehmen umgesetzt. Am Beispiel von Butlers machte er deutlich, dass Digitalisierung in jedem Falle Chefsache sei. Alles andere würde nicht funktionieren. Man müsse die digitale Trans­for­ma­tion als Chance begreifen, ansonsten werde man früher oder später durch den Gesetzgeber und den Markt »wegreguliert«. 
Alles in allem war die zweitägige Veranstaltung nicht zuletzt wegen ihres Networking-Charakters wieder ein voller Erfolg. Was bei den Teilnehmern ebenfalls durch die Bank sehr gut ankam, war die Location, das Tagungs­hotel Lufthansa in Seeheim-Jugenheim: Die kurzen Wege vor Ort, der großzügige Veranstaltungssaal mit perfekter Klimatisierung und nicht zuletzt die riesengroße Terrasse mit sensationellem Ausblick überzeugten bei bestem Spätsommer-Wetter alle Beteiligten. »Aufgabe dieser Veranstaltung ist es, den Blick nach vorne zu richten und sich mit morgen und übermorgen zu beschäftigen. Unsere Gäste zu informieren und sie auch zu inspirieren. Und im besten Fall zu motivieren«, so Bert Bergfeld. Eine Aufgabe, die der Verband auch in diesem Jahr mit Bravour meisterte.

Die nächste GHF-Tagung findet am 17. und 18. September 2024 in Leipzig statt.

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